12.5.2025

Daniel Osterwalder

Eine Muttertags-Retro – oder: Wenn Sorgearbeit als Familienarbeit verstanden wird

Ein Perspektivwechsel?

Um Care ist Umkehr. Möglicherweise auch eine Abkehr von etwas rückständigen Narrativen wie der des Muttertags. Und rückständigen Geschichten, die Mann über sich erzählt. Darum setzen wir uns mit neuen Formen von Männlichkeit auseinander. Und auch dem Verhältnis von Vätern und Söhnen.

Zugegeben: Ich habe ein komisches Verhältnis zum Muttertag. Zum einen, weil das in meiner Kindheit dieser eigenartige Tag war, an dem wir nicht wie üblich in einen engen DKW gepfercht wurden, um eine Drei- oder Vierpässefahrt ertragen zu müssen. Sondern weil der Vater eigenhändig die großen Messer in die Hand nahm, um Teile von Tieren noch kleiner zu machen. Die er dann mit einer Menge Reis und verschiedenen Gemüsesorten zu einer Mahlzeit zu verbinden trachtete. Was nicht immer nur gut gelang. Zum anderen, weil dieser Tag – historisch betrachtet – doch eigenwillige Betrachtungsweisen erhielt. Ganz am Anfang war es das Feiern des Dienens in Stille. Wenig später drapierten die Nationalsozialisten hehre Mütterlichkeit, Vaterland bis hin zur Perservion des Nationalismus und Totalitarismus um diesen Tag herum. Bis er in den europäischen Wirtschaftswunderwelten in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hinter viel buntem Plastik, riesigen Fleischportionen aus dem Römertopf, dem obligaten Tiramisu als Relikt einer eher schwierigen Zeit verschwand.

Als ich im Alter von etwa 28 realisierte, dass ich nun eigentlich für diese Rolle Vater bereit bin, verband ich damit auch die Aufgaben, die das Zeugen von Kindern nach sich zieht. Also ganz im Sinne von Kinder, Küche und Klo. Da letzteres eher weniger von Männern oder Vätern erledigt wird, übernahm ich das Nasszellenmanagement und überliess das Grillen im Garten anderen.

Mutter und Vater sein bedeutet auch, Teilhaber am Leben von Kindern zu sein und auch Teil eines Systems, das immer bestehen bleibt, auch da, wo das schwierig ist. Ein System, das nach oben, unten und zur Seiten hin (zeitlich gesprochen) offen ist, was die Bedürfnisse beispielsweise für Pflege oder Care betrifft. Zuerst sind die, die dessen bedürfen winzig klein und auf einmal sind sie alt, schrumpelig und gehen langsam ein. Und: Beides betrifft Väter wie Mütter gleichermassen als Kleinkind und als alternder Elternteil. Und doch gelingt die Um-Care, wie es Ina Praetorius und UtaMeier-Gräwe im gleichnamigen Buch sehr treffend beschreiben noch nicht wirklich. Noch immer ist Care-Arbeit strukturell weiblich. Und das sollte uns stören. Vielleicht gerade auch im Zusammenhang mit diesem Artefakt des frühenPatriarchats, dem Muttertag.

Vom Sandkasten zur Struktur

Vor rund 30 Jahren ging ich im Rahmen einer kleinen Untersuchung „Männer im Sandkasten“ zwei Fragen nach, ob und wie sich Männer in die Betreuung der frühen Kindheit einbringen. Die Frage, ob die Väter – wie die Mütter auch – auf ein Angebot zugreifen können, das sie bei der Kinderbetreuung auch finanziell unterstützt, förderte für Europa große Unterschiede zwischen den skandinavischen Ländern (Lohnfortzahlung, Jobsicherheitetc.) und den Ländern Südeuropas zutage (und die Schweiz gehörte in dieser Frage ziemlich klar zu Südeuropa). Interessant war dann die zweite Frage, nämlich die nach dem Benutzen der verschiedenen Angebote: Egal in welchem politischen System: Väter nutzten weder die großzügigen noch die nicht vorhandenen Angebote.

Heute zeigen Studien: Männer wollen sich einbringen. Doch zwischen Wollen und Dürfen liegt das System – und das braucht Veränderung. Nicht durch wohlmeinende Kampagnen, sondern durch das Zurverfügungstellen von Zeit, durch kulturelle und politische Veränderung. Vaterschaft ist dabei eine eigene Auseinandersetzung mit Care und Fürsorge vor dem Hintergrund derselben Verantwortung wie Mutterschaft. Und genau das wird gesellschaftlich noch immer nicht als selbstverständlich gedacht.

Muttertag - ein veraltetes Symbol?

Jedes Jahr wieder: Blumen, Gedichte, Brunch. Muttertag als Inszenierung des „stillen Heldentums“ weiblicher Fürsorge. Und das mit dem Subtext: „Wir danken dir – denn du tust das, was wir nicht tun.“

Das ist gefährlich. Weil es romantisiert, was strukturell ungleich verteilt ist. Und weil es Fürsorge als weiblich konnotiert und damit einer Art «Natur» zurechnet, statt die gesellschaftliche Bedeutung von Care auszuloten. Und auch, weil es implizit ausschließt: alle Väter, queeren Eltern, Pflegeeltern und überhaupt alle, die Sorgearbeit leisten, aber nicht ins nostalgische Mutterbild passen.

Care als kulturelle und politische Kompetenz

Die Soziologin Joan Tronto nennt Care eine Form „demokratischer Reife“. Wer Care lebt, übernimmt Verantwortung – nicht nur für andere, sondern für das Ganze. Wenn wir Vaterschaft so denken, ändert sich alles: Beziehungen, Arbeitszeitmodelle, Machtverhältnisse, Gesundheitssystem und Altenfürsorge. Denn wer Sorge trägt, verändert Strukturen. Und wer Strukturen verändern will, muss lernen zu sorgen. Und das ist – demographisch betrachtet – dringend notwendig! Während 1970 rund 6.5 Menschen für einen Menschen sorgten, sind es 2030 noch knapp 1.5 Menschen. Die Zukunft liegt deshalb u.a. auch in einer weltgerechten Aufteilung von Care.

Einladung zum Perspektivwechsel

Es ist eigentlich banal: Care-Arbeit war und ist Teil meiner Entwicklung als Mensch – nicht trotz, sondern wegen meiner Rolle als Mann. Wenn du heute Vater bist, Partner, Kollege, Führungskraft: Frag dich, wie und wo du zu Care beiträgst. Nicht als Zusatz, sondern als Teil deiner Professionalität und deines Wirkens.

Vielleicht feiern wir deshalb bald einmal einen Tag der Fürsorge. Ein Tag für alle, die Care leben. Öffentlich und privat und Care als Common verstehen.

Unser Beitrag - ein Schnuppertag für Väter, Söhne und für Männer

Ende Mai organisieren wir einen Schnupperhalbtag für Väter und Söhne und auch für Männer. Dabei wollen wir einerseits die Möglichkeit anbieten, mehr über unsere Arbeit zu erfahren. Andererseits wollen wir noch besser verstehen, auf welche Weise wir diese noch besser ausrichten können an den Bedürfnissen von Vätern, Söhnen und Männern.

  • Ort: Lange Erlen, Basel
  • Datum: 24. Mai 2025
  • Zeit: Väter und Söhne von 9 - 12 Uhr
  • Zeit: Männer von 13 Uhr bis 16 Uhr
  • Mitbringen: wettertaugliche Schuhe und Kleider, Verpflegung und Sitzunterlage, Schreibzeug

Für unverbindliche Anmeldung und weitere Informationen: daniel.osterwalder@visualdynamics.ch

Unser Angebot für Väter und Söhne findest du hier.

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