
Kürzlich, im Rahmen einer kleinen Einführung in die Kunst des Facilitation meinte eine Teilnehmerin: „Der übliche Start in eine Gruppe: Das läuft doch von selbst, oder?“
Hmm, nein! Denn auch das Ankommen braucht Struktur – eine unsichtbare, feine und auch spürbare Architektur. Und diese Architektur bildet und hängt davon ab, wie sicher sich ein Raum anfühlt, wenn Menschen wirklich da sind – nicht nur physisch, sondern körperlich und innerlich. Wenn sich das gut anfühlt, dann hat jemand etwas dafür getan! Wir vom House of Facilitation gehen davon aus, dass wir das gestalten können. Und nicht, indem wir eine Agenda dafür entwickeln oder eine spezifische Methode wählen, sondern indem wir das Vorgehen von Grund auf neu denken. Das ist dann Facilitation in action! Und dieses Vorgehen wollen wir hier genauer beleuchten.
Du brauchst nicht viel tun. Einfach das - aus unserer Sicht - Richtige. Mein Check-in ist deshalb kein Icebreaker, weil ich es tatsächlich nicht als sinnvoll erachte, in der Arbeit mit Gruppen damit zu beginnen, gewaltsam etwas zu brechen. Denn die Struktur des Brechens (Widerstände überwinden und brechen, berechtigte Zurückhaltung oder Scheu mit heftiger Geste zusammenführen etc.) unterstützt in erster Linie nicht die vielleicht leise sich ankündigende Gruppendynamik, sondern führt eine Gruppe relativ brachial in die Richtung, in die der Moderator hinzielt.
Und deshalb ist ein Check-in, neurosystemisch verstanden, eine Einladung an den ganzen Menschen und dies in fünf Schritten.
Jetzt nimmt dich sicher wunder, warum wir beim House of Facilitation als ausgebildete certified professional Facilitator nach IAF so vorgehen. Vielleicht tragen die unten stehenden Ausführungen zur Klärung bei.
Ein sicherer Raum entsteht nicht durch Regeln, die wir für Gruppen aufstellen oder die sich Gruppen selber geben. Interaktionen in und mit Gruppen beginnen damit, dass ein sicherer Raum geschaffen wird, der alle Anwesenden aufnehmen und tragen kann. Und dieser Raum entsteht dadurch, dass sich die einzelnen Menschen, die sich begegnen, sicher und wohl fühlen. Sich sicher fühlen hat sehr viel mit dem sogenannten Stresstoleranzfenster zu tun (nach Daniel Siegel), also damit, auf welche Weise jede und jeder sich genau richtig integrieren kann. Und weil das für alle so unterschiedlich ist, schlage ich hier ein etwas unerwartetes Vorgehen vor.
Ich weiss: Der eine, seltener die andere wird sagen "Was jetzt, "Gspüürschmizüüg?!" Ja, genau, spüren. Uns Menschen zeichnet nämlich aus, dass wir unterbewusst enorm viel wahrnehmen (spüren, fühlen) und bewerten, bevor wir uns überhaupt darüber Gedanken gemacht haben. Und da wir Sicherheit nicht einfach im Neocortex denken können, damit wir uns sicher fühlen, sondern "Sicherheit entsteht, wenn die (komplexe) Wahrnehmung des Organismus aus den gesammelten Wahrnehmungsdaten das Ergebnis "Hier besteht keine Gefahr" ableitet, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass wir als Facilitator:innen darauf achten sollten, mit Hilfe spezifischer Vorgehensweisen einen Raum zu schaffen, der gerade nicht Anlass dazu gibt, dass die Interpretation "Hier droht Gefahr" abgeleitet werden kann. d.h. wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf die oben aufgeführten Schritte richten, nicht auf eine Agenda, nicht auf Erklärungen über den sicheren Raum, sondern darauf, wie wir Sicherheit gemeinsam schaffen.
Statt also Tschaka, Affirmationen oder Beschwörungen, die den Verstand adressieren (der hier relativ unnötig, da nachgelagert ist), schlage ich deshalb dieses mehrstufige Vorgehen für das Entwickeln und Halten eines sicheren Raumes vor. Vielleicht hilft es dir auch, wenn du davon abkommst, dir den sicheren Raum als Konzept vorzustellen. Geh einfach davon aus, dass es sich beim sicheren Raum um das Öffnen von Erfahrungsräumen handelt. Und er entsteht, wenn Präsenz spürbar wird – nicht, wenn sie erklärt wird.
Bevor Menschen miteinander in Resonanz gehen können, braucht es Selbstwahrnehmung und ein sich orientieren in sich und im Raum. Die Innenwahrnehmung können wir deshalb auch über die Propriozeption gut abholen, weil diese
Zudem muss sich keine und keiner vor anderen zu sehr zeigen, sondern kann bei sich bleiben und die entsprechende Übung ausprobieren.
Propriozeption bedeutet, den eigenen Körper von innen zu spüren – also sich als jemand zu erleben, der Raum einnimmt, Gewicht hat und auch Grenzen. Sind wir über- oder untererregt, so hilft uns eine entsprechende Regulationsübung, uns einzumitten.
Für viele Menschen ist das Adressieren des Nervensystems via Propriozeption der erste Schritt in Richtung Sicherheit.
Denn nur, wenn ich mich selbst hinreichend in mir verorte, kann ich in Beziehung treten. In Beziehung
Du verfolgst dabei kein Ziel, kein „richtig“ - es geht "nur" um das Wahrnehmen. Denn Beziehung beginnt da, wo der Körper wahrgenommen, gespürt wird. Nicht, wenn wir darüber reden, sondern wenn wir wieder bewohnen, was längst uns gehört: unseren Körper als Resonanzraum.
Wenn wir den Blick nun nach außen richten, orientieren wir uns in Raum und Zeit. Das klingt banal, ist aber zentral: Unser Nervensystem braucht Signale aus der Umgebung, um festzustellen, dass keine Gefahr droht. Diese Übung aktiviert die Exterozeption – die Wahrnehmung der Außenwelt via die bekannten Sinnesorgane – und vermittelt so Sicherheit. Und wenn wir dabei anstiften zu aktivem Schauen, intensivem Horchen oder auch Fühlen via Haut, die uns ebenfalls sehr viele Eindrücke von aussen vermitteln, so unterstützen wir dabei ein sicheres Ankommen im Aussen. Ein reguliertes Nervensystem kann übrigens erst dann neugierig, kreativ oder empathisch sein.
Sicherheit beginnt mit Orientierung. Ich kann mich via Orientierung einmitten und nehme sehr gut wahr, wie ich atme, wie sich mein Körper anfühlt, was ich spüre und welche Gedanken mir durch den Kopf jagen. Und der Körper merkt: Ich bin hier. Es ist gut.
Und genau das ist der Punkt – nicht: Ich bin bereit, jetzt loszulegen, sondern: Ich darf einfach da sein, sobald ich bereit bin.
Nachdem Körper und Umgebung wieder bewusst spürbar sind, entsteht ein Raum für das, was innerlich da und bereit ist. Im traumasensiblen Arbeiten geht es hier um das Zulassen von Empfindungen, ohne diese sofort zu bewerten oder zu verändern, sondern einfach nur darum, diese wahrzunehmen. Dabei bringt das Nachspüren eine wichtige Qualität zurück: den Selbstkontakt. Und Selbstkontakt ist die Voraussetzung für Selbstregulation. Und Regulation ist unser Werkzeug, uns aus Übererregung oder Untererregung wieder einzumitten.
Sobald du auf diese Weise ankommst, bist du als ganzer Mensch bereit, dich einzulassen. Und zwar auf die Art und Weise, wie es sich für dich richtig anfühlt. Also indem du dich zu Wort meldest. Oder indem du dich eher unterstützend mitteilst, ohne Worte, mit Text auf Karten und ähnlichem. Vielleicht willst du laut sein oder leise - beides ist willkommen. Denn in unserem Verständnis beginnt traumasensible Arbeit mit Erlaubnis und niht mit Analyse.
Aufschreiben verlangsamt. Und unterstützt dich dabei, deinen vielleicht zu wilden Gedanken eine Klarheit zu geben, die sie vermittelbar macht. Und deshalb schreiben wir als Erstes Impulse, Ideen zum Thema, Gemütszustände und ähnliches mehr auf, woran wir gemeinsam arbeiten wollen. Via Schreiben gelangen auch unklare Empfindungen ins Bewusstsein und macht diese für dich handhabbar. Denn Karten sind kleine Container: Sie halten einfach deine Gedanken, ohne dass daraus gleich eine Mordsdynamik aufreisst.
Dabei ist das Schreiben nicht einfach ein Task. Es ist vielmehr eine Form der Verlangsamung. Und damit nimmt das Unsichtbare Gestalt an. Das, was sich innerlich bewegt, bekommt Form – nicht, um verstanden zu werden, sondern um gewürdigt zu werden.
Hier wechselt die Aufmerksamkeit von der Einzelperson zur Gruppe, ganz ohne Zwang. Das gemeinsame In-die-Mitte-Legen der erarbeiteten Karten schafft Verbindung, ohne dass jemand sich erklären muss. Die Karten sprechen für sich. Das ist stille Zeug:innenschaft – eine der tiefsten Formen sozialer Resonanz und diese schafft Sicherheit.
So entsteht das, was Stephen Porges soziale Sicherheit nennt: wahrgenommen, nicht bewertet zu werden.
Wer mag, legt die Karte in die Mitte.
Keine Erklärungen. Keine Diskussion. Keine Ausdeutung.
Die Karten liegen da, als stille Marker von Gegenwart - eine Art kollektives Atmen und ein Raum, der sich selbst hält. Und das ist genau der Punkt: Natürlich habe ich als Facilitator:in die Aufgabe, einen Raum zu halten. Wenn ich mich jedoch dahin bewege, dass ich alle dazu einladen kann, diese Sicherheit zu schaffen, dann entsteht auf eine ganz andere Weise ein sicherer Raum für gelingende Zusammenarbeit. Denn auf diese Weise entsteht Resonanz.
Und Resonanz ist die Basis von Sicherheit.
Bevor wir inhaltlich starten, braucht es ein bewusstes Ende dieses Ankommensrituals.
Der Körper versteht Übergänge nicht durch Worte, sondern durch Rhythmus: eine Geste, ein Blick, ein gemeinsames Ausatmen.
Das Beenden ist wichtig, um den Raum zu integrieren – das, was war, darf bleiben, und gleichzeitig öffnet sich der nächste Schritt.
Und schon sind wir angekommen, im Hier und Jetzt. Und sind damit bereit, gemeinsam in ein Thema einzusteigen und um uns gemeinsam auf eine Reise zu begeben. Und doch ist genau hier der Unterschied zwischen einem Check-in, Icebreaker oder dem gemeinsamen Schaffen eines sicheren Raums für gelingende Zusammenarbeit.
Denn nichts ist selbstverständlich ist: Nicht die Anwesenheit. Nicht die Offenheit. Nicht das Vertrauen.
Alles ist ein Geschenk, eine Gabe, die jede und jeder im Raum teilt. Und das ist etwas, was wir doch recht oft vergessen.
In einem LinkedIn-Post hat Stephan Stockhausen kürzlich von der unsichtbaren Architektur des Facilitation gesprochen – und genau das ist es:
Die Qualität des Raumes entsteht aus der Haltung, nicht aus einer Vielfalt an Methoden.
Ich stimme ihm zu – und füge hinzu:
Ein Safe Space ist kein psychologisches Versprechen, sondern eine körperlich spürbare Erfahrung.
Er entsteht, wenn wir gelernt haben, uns als ganze Menschen zu begegnen und damit zu arbeiten, nicht nur mit Konzepten.
Facilitation, die das kann
Das braucht Übung. Tiefe. Und – wie Stephan sagt –Unsichtbarkeit.



