Da stehen sie und lugen über den Abgrund der Fluh. Zähe Kiefern, die in jeder noch so kleinen Spalte und Ritze im Fels einen Anker finden, sich zu halten. Harte und mit zarten Blättern versehene Flaumeichen, die beherzt und mutig am Rand des Abgrunds stehen. Und dazu ER, der eigenartige Fremde, der über dem Abgrund trohnt. Stoisch, allein, nicht einsam, klar und ganz versunken in NichtTun. Welch Letzteres immer falsch verstanden wird als nichts tun. Was für ein kleiner, jedoch feiner Unterschied, n'est-ce pas, Monsieur Bourdieu!
Vorgestern noch, kurz bevor wir im Seminar nach draussen gehen und ich die Gruppe junger Männer und Frauen in Naturarbeit begleite, damit sie erste Eindrücke sammeln können, wie wir in und mit Natur arbeiten können, meinte Ege lapidar und ein wenig provokativ: "Was, wir gehen jetzt Bäume umarmen?" Ich stutze, warte auch, damit ich ihm nicht zu entrüstet übers Maul fahre. "Echt jetzt!" Und ganz der gewiefte Systemiker frage ich dann: "Stell dir deine Urgroßmutter aus der Uckermark vor. Was meinst du, wie sie zu den Bäumen in ihrem Waldrevier gestanden ist? Und zu deiner Frage?" Er stutzt und sinnt. An seine Urgroßmutter Arniluka kann er sich nicht mehr erinnern. Er weiss nur aus Erzählungen von ihr. Vor allem aus Erzählungen seiner Großmutter Uraluka, die ihm immer dann Plätzchen hinstellte, wenn er es - offensichtlich - nicht verdiente. Plätzchen, die nach Zimt, Sternanis und ganz wenig Piment schmeckten und so doll den Bauch wärmten. Und die sie bei ihrer Mutter zu backen gelernt hatte, am Rande ihres Waldreviers.
Von der Natur lernen?
In der Zusammenarbeit mit Managern wird "Bäume umarmen" immer rasch erwähnt, wenn sich die Auseinandersetzung anderem zuwendet als auszuwertenden Daten, Exceltabellen oder sogenannten wissenschaftlichen Konzepten zu Change, Innovation oder Transformation. Und auch, um der Auseinandersetzung mit der Natur einen Ruch von Esoterik um die Nase zu wedeln. Wie man das auch bei Körperarbeit (ist privat, aber hallo!) und der tieferen Beschäftigung mit sich selber (also das geht jetzt sicherlich niemand etwas an, was ich nachts träume) macht: Nur: Die Sprache und Denke der neoklassischen Wirtschaftswissenschaften ist nicht dafür gebaut, Prozesse wie Care zu erfassen, geschweige denn zu begreifen, auf welche Weise Natur anders zu bewerten wäre denn als Raum, vollgestellt mit zu nutzenden Ressourcen. Hauptsache, wir haben vom Botaniker den korrekten Namen für das grüne Dinge, das sich 40 Meter hoch vor uns in den Himmel windet. Aber: Wissenschaftler "glauben, dass sie die Natur verstehen. Diesen Standpunkt nehmen sie ein. Weil sie überzeugt sind, dass sie die Natur verstehen können, haben sie sich der Erforschung und dem Gebrauch der Natur gewidmet. Ich aber glaube, ein Verständnis der Natur liegt außerhalb der Reichweite menschlicher Intelligenz."
Vielleicht liegt genau hier das Problem:Wir reden von Nachhaltigkeit, als wäre sie ein KPI. Eine Kennzahl, die man managen, reporten, benchmarken kann. Planetare Grenzen? Ein hübsches Konzept, das man in den Fußnoten von ESG-Berichten zitiert, während die nächste Wachstumsrunde geplant wird. Doch Nachhaltigkeit ist kein Projekt. Kein Nachhaltigkeits-Officer, kein Reportingrahmen wird sie retten, wenn wir nicht wieder verstehen, dass wir Teil eines Systems sind, das älter ist als jede Organisation und um so viel älter als die Menschheit als Ganze.
Vielleicht lebst du dann eines Tages, ohne es zu merken in die Antwort hinein.
Die Natur kennt kein Wachstum um des Wachstums willen. Kein Baum wächst unbegrenzt und vor allem nur in eine Richtung. Kein Wald bleibt bestehen, wenn er nicht stirbt, fault, sich wandelt. Und jeder Baum und sei er noch so klein, führt zuerst seine Wurzeln in den Grund aus, um Standfestigkeit zu erlangen. Dann folgt der Trieb in die Höhe. Und so wie jeder Baum in die Höhe strebt, greift er auch weit hinab in die Tiefe. Wie wäre es, wenn auch wir mehr und mehr in die Tiefe wachsen würden und nicht nur nach den unerreichbaren Sternen griffen? Genau diese Zyklen, die wir draußen beobachten können, sind die stillen Lehrmeister echter Transformation. Naturarbeit ist nichts anderes als das bewusste Hineintreten in diesen Lernraum.
Wo sind wir uns bloß geblieben?
Der eingangs zitierte Fukuoka schrieb auch das folgende: „Im gleichen Maße, wie Menschen sich von der Natur lösen, entfernen sie sich immer weiter von ihrem eigenen Mittelpunkt.“ Und genau deshalb arbeiten wir draussen in der Natur und im Wald mit Führungskräften. Damit wir einen Bezug in diese Erde hinkriegen und ein Verständnis davon, in und mit der Erde zu leben und nicht auf der Erde. Und es geht es nicht darum, Antworten zu finden, sondern zu entlernen, was wir für selbstverständlich halten. Die Kontrolle. Die Planbarkeit. Die Illusion, dass wir Systeme steuern. Draußen, im Gelände, zeigt sich schnell, wie wenig wir tatsächlich im Griff haben – und wie viel entsteht, wenn wir zuhören, lauschen wie Lauscher und horchen. Vor Jahren in München meinte ein Abt lapidar: Wir müssen horchen lernen. Denn horchen ist aktiv, ist ein hineinhören in die Welt und ist auch ein Gehorchen. Und ja, damit tun wir uns schwer. Als Söhne den Vätern, Als Töchter den Müttern und als Menschen der Natur, der Welt. Gehorchen heisst auch, sich in Demut üben und da sind wir wahrlich nicht wie Meister oder Meisterinnen vom Himmel gefallen.
Die Erde gibt nicht nach. Sie zieht Grenzen, still, präzise, unumkehrbar. Trockenheit. Überschwemmung. Artensterben. Diese Phänomene sind keine Fehlfunktionen, sondern Rückmeldungen und sie sind einfach in sich. Und wenn wir das verstehen, können wir damit beginnen Nachhaltigkeit anders zu denken: nicht als Ressourcenschonung, sondern als Beziehungspflege und als regenerative Weltbeziehung. Unter anderem auch mit uns selbst. Oder vielleicht vor allem mit uns selbst, um dieses unsinnige, törichte Streben nach Mehr und nach Wachstum endlich zu beschliessen.
Naturarbeit bedeutet, wieder Beziehung aufzunehmen – zu Böden, Wurzeln, Wetter, Wind. Sie ist nicht romantisch, sondern real. Sie verlangt Demut, Aufmerksamkeit, Langsamkeit. Werte, die im Management längst als „ineffizient“ gelten, aber ohne die kein System langfristig überlebt. Vielleicht müssen wir also wirklich wieder hinausgehen. Nicht, um Bäume zu umarmen – sondern um zu begreifen, dass sie uns längst tragen. Und vielleicht gönnen wir uns auch das, was in diesem kleinen Gedicht anklingt.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern.
Höre alten Leuten zu.
Öffne dich, tauche ein, sei frei.
Segne dich selbst.
Lass die Angst fallen.
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