Ein Satz, den ich in den letzten Wochen häufiger gelesen und gehört habe, erst letzthin in einem Gespräch unter Freunden. Und jedes Mal zieht es mir den Boden unter den Füßen weg. Einerseits als Person, als Mensch, der nicht verstehen kann, dass dieser Vergleich überhaupt gezogen wird. Andererseits als Historiker, der auf der Basis von Quellen weiss, dass dieser Vergleich unzulässig, gefährlich und auch falsch ist. Und dann auch als Facilitator sofort diese Reaktion! Meine Fresse: Wie reden wir jetzt darüber? Wie kommen wir bloss raus aus diesem Identifikationskult, dieser Geschwindigkeit und diesem Hang, uns laufend in Gegensätze zu stellen, die fast keine Auflösung zulassen. Und auch: Wie gehen wir mit Verbitterung um? Als Mensch finde ich zudem jeden Vergleich von Leid, jedes Abwiegen nicht zulässig. In diesem besonderen Fall noch mehr, weil mit diesem Vergleich auch Schindluder getrieben wird.
Historisch: Warum der Vergleich falsch ist.
Auschwitz war ein Vernichtungslager, gebaut für die industrielle Ermordung von Millionen Menschen, eingebettet in den systematischen Plan, das jüdische Volk auszulöschen. Gaza ist ein Ort furchtbaren Leids, ja. Hunger, katastrophale Versorgung in allen Bereichen, Krankheiten und unsägliche Not sind da nur wenige Stichworte, die das nachzuzeichnen versuchen. Nur: Es ist kein kein Vernichtungslager. Und dieser Unterschied ist mit allem Leid ganz fundamental. Es gibt keinen industriellen Tötungsapparat, keinen Masterplan so viele wie mögliche Menschen zu töten, wie das im Zweiten Weltkrieg vorhanden war für die Auslöschung des jüdischen Volkes. Wie in einigen anderen Ländern auch sehen wir in Israel das Aufkommen von rechtsgerichteten, nationalistischen Parteien, die den Regierungspräsidenten und den entsprechenden -apparat stellen. Und diese, unterstützt von einem Teil der Bevölkerung, richten fürchterliches Leid an. Ohne dass ein Volk als solches ausgeschlossen, in einem Lager zusammengepfercht und vernichtet werden. Der Vergleich ist deshalb historisch schlicht falsch. Punkt.
Als Facilitator spüre ich vor allem: der Raum kippt. Die Luft verändert sich. Ich sehe, wie sich Fronten bilden, Bubbles füllen und vielen in diesen Bubbles nicht anders können als einander zustimmen.
Warum greifen Menschen zu einem so unzulässigen Vergleich? Was treibt sie dazu, Auschwitz und die Shoah als Folie für die Gegenwart zu nutzen? Und warum reicht es nicht, einfach und genau hinzuschauen, was derzeit in Gaza passierte und passiert. Unter Einbezug des Terrors vom 7. Oktober 2024, den möglichen Gründen und Auslösern dieses Terrors, den Staaten, die die Zerstörung eines Staates auf die Fahne geschrieben haben und den entsprechenden Reaktionen aus anderen Ländern darauf. Und vielleicht erkennen wir in diesem Moment, dass wir den Konflikt nicht mehr nähren, sondern sich selbst überlassen. Denn diesem ist es sonst gerade recht, dass jede und jeder ihn nährt.
Schauen wir doch einmal auf mögliche Argumente. denn ich glaube, es sind verschiedene Gründe. Manche Argumente sind verständlich, andere destruktiv und auch gefährlich.
Die verständlichen Gründe
Das Bedürfnis nach Sprache für das Unfassbare
Der Holocaust ist der ultimative Referenzpunkt für Leid. Wenn Menschen heute fassungslos sind über das, was in Gaza geschieht, suchen sie nach Worten. Und sie greifen zum stärksten Bild, das unsere Kultur kennt.
Die Macht der Metapher
„Auschwitz“ ist in unserem kollektiven Gedächtnis zum Synonym für absolutes Unrecht geworden. Wer das Bild benutzt, will sagen: „Es ist unermessliches Leid, was dort geschieht.“
Die nicht nachvollziehbaren Gründe
Politische Instrumentalisierung.
Der Vergleich „Israel = Nazis“ ist ein klassisches antisemitisches Narrativ. Und - es ist kein Vergleich, sondern ein Schlag ins Gesicht. Auch derjenigen, die diesen Vergleich machen. Es kehrt Opfer und Täter um und verkehrt Geschichte ins Gegenteil dessen, was damals in Europa und der Welt passierte. Und das ist nicht einfach ein Fehler, sondern tatsächlich sehr gefährlich.
Empörungs-Shortcuts
Komplexe Zusammenhänge auf einen Schlag mit einem Schlagwort erledigen – das spart Nachdenken, killt aber jede Differenzierung und versammelt Gleichdenker mit Gleichdenkerinnen. Hauptsache, wir folgen derselben Verirrung.
Schuldverschiebung
Wer mit Auschwitz argumentiert, muss sich selbst keine unbequemen Fragen mehr stellen. Man kann sich auf der moralisch sicheren Seite einrichten und diejenigen, die differenzieren und mit Fragen tiefer zu verstehen versuchen, diskreditieren.
Und dazwischen gibt es die vielen Grautöne: Menschen, die schlicht überwältigt sind von den Bildern, die sie sehen. Diesen Menschen werfe ich nichts vor – aber ich lade sie ein, genau hinzusehen. Menschen, die sich ohnmächtig fühlen und ihre Ohnmacht mit der größten bekannten Katastrophe unserer Zeitgeschichte vergleichen. Und Menschen, die von unterschiedlichen und bedrängenden Informationen derart geflutet werden, dass sie sich überhaupt kein Bild mehr machen können. Und dann immer wieder finden sich Menschen, die ob die derzeitige Tragödie als das einschätzen können, was es ist, ohne gleich mit dem Hammer "Auschwitz" alles kurz und klein zu schlagen. Im Sinne von: Ja, wir müssen uns empören! Wir müssen den Mund aufmachen, jedoch nicht auf der Strasse, inmitten von "Free palestine - from the river to the sea" infiltrierten, sondern da, wo unsere Stimme Relevanz erhält und wo wir vom Reden ins Tun kommen.
Als Historiker sage ich: Wir dürfen diesen Vergleich nicht durchgehen lassen. Er verwischt Unterschiede, relativiert die Shoah und missachtet die Opfer.
Als Facilitator sage ich: Wir dürfen uns trotzdem fragen, warum Menschen diesen Vergleich brauchen.
Denn eines ist klar: Sprache öffnet Räume – oder sie zerstört sie. Wer "Gaza ist Auschwitz" sagt, zerstört Erinnerung und Gespräch gleichermassen. Und darum geht es: Warum wird das Gespräch gestört oder zerstört? Warum schliesse ich die Türe - wie bei einem Kontaktabbruch für immer zu? Woher diese Verbitterung - da haben wir sie wieder? Aber die Gefühle dahinter verdienen es, ernst genommen zu werden. Und wir müssen darüber in einem sicheren Raum sprechen
Wir brauchen eine Sprache, die klar benennt, was ist – ohne falsche Analogien oder verstörende Bilder. Und dann müssen wir Räume schaffen, in denen Leid sichtbar wird, ohne dass Erinnerungskultur geopfert wird.
Und wir brauchen die Fähigkeit, zuzuhören, bevor wir sprechen, nachzufragen, bevor wir antworten und noch tiefer nachzufragen, bevor wir uns überhaupt ein Urteil über einen Sachverhalt erlauben.
Als Historiker schaue ich genau hin, wie die Quellen benutzt werden. Und achte sehr sensibel auf das, was wir Inversion, Umdrehung nennen. Diese Disziplin feiert derzeit auf vielen Kanälen Urständ. Angefangen von privaten Begebenheiten, die verdreht wiedergegeben wird bis hin zur Weltpolitik.
Als Facilitator halte ich den Raum für das Zusammenkommen. Begleite Menschen dahin, sich wieder zu begegnen, zuzuhören, und auch mal in einen Konflikt einzutauchen, auch wenn uns das nicht leicht fällt. Und dann heisst es noch mehr: Raum halten. Um auf diese Weise einen Raum des Dialogs zu schaffen.
Beides ist heute wichtiger denn je.
Erlaube mir auch noch, dir ein paar Fragen mitzugeben: Wie hast du es mit dem Dreiklang vergeben, versöhnen und akzeptieren? Mit dir? Und dann mit deinem Gegenüber? Mit diesem Dreiklang beginnt bei uns das Abenteuer Facilitation und damit der Versuch, immer wieder nachzufragen, um zu klären, um zu erfahren, zu verstehen.